Es scheint die Sonne noch so schön by Vine Barbara

Es scheint die Sonne noch so schön by Vine Barbara

Autor:Vine, Barbara [Vine, Barbara]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60113-8
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-06-27T16:00:00+00:00


[242] 12

Zosie hatte zarte bläuliche Male auf der Haut, die aussahen wie die Daunenfedern eines kleinen Vogels, den die Katze gerupft hat. Sie waren an ihren Oberschenkeln und in der Leistengegend und schwächer auf dem flachen Leib. Mehr noch als an Federn erinnerten sie an ein Stück überdehnte Seide, bei der die Schußfäden so nah aneinandergerückt sind, daß man die Kette sieht. Eines Tages würden sie verblassen, aber noch war es nicht so weit, und garz würden sie nie mehr Weggehen.

Rufus hatte zweimal mit Zosie geschlafen, ehe er die Male sah, einmal im Wagen und einmal im Bett des Zentaurenzimmers (in dem einstmals Lewis und Beryl Verne-Smith friedliche Nächte verschlummert hatten) aber erst in der dritten Nacht sah er sie nackt. Sie erwartete ihn wie ein Opferlamm. Sie sagte kein Wort, aber ihre ganze Haltung – auf dem Rücken ausgestreckt, aufnahmebereit, passiv – sprach für sie: Ich tue alles, was du verlangst, ich bin dein – oder auch nicht –, ganz wie du willst. Ich weiß, daß ich für Kost und Logis, daß ich für diese Freistatt zahlen muß, und eine andere Währung habe ich nicht.

Besonders stimulierend war das nicht, doch daran hätte Rufus sich nicht weiter gestört. Woran er sich störte, das waren die Male, und er überlegte, was es – vor allem auch für seine künftige Karriere – heißen konnte, sich auf dergleichen einzulassen, und welches Risiko er einging oder [243] schon eingegangen war. Und statt mit Zosie zu schlafen, nahm er ein Kissen vom Bett und eine der Decken, die er längst auf den Boden befördert hatte, weil er sie nicht brauchte und zog um auf die Terrasse.

Das war, ehe sie das Silberarmband gestohlen hatte, und diese Geschichte war ein paar Tage vor Viviens und Shivas Ankunft passiert. Während Adam und er in dem Laden in der Friar Street das Fischbesteck und die Saucieren verscherbelten, hatte Zosie sich ein Armband aus einer der Schmuckvitrinen geschnappt. Weil sie in dem Kopfkissenbezug einigermaßen abenteuerlich aussah, hatte sie Adam einen Zehner aus der Tasche gezogen und sich Jeans und ein T-Shirt gekauft, dann war sie mit dem Armband in ein Geschäft in der Gainsborough Street gegangen und hatte es für vierzig Pfund verkauft.

Natürlich gehörte das alles zusammen und war nur zu begreiflich. Rufus hatte gespannt darauf gewartet, was Zosie als nächstes anstellen würde. Für ihn war es eine Fallstudie gewesen, er hatte sogar überlegt, ob er etwas darüber veröffentlichen sollte. Das Muster ihrer Diebereien war hochinteressant, es war keine sinnlose Kleptomanie, sondern kalkulierter Diebstahl von verkäuflichen Gegenständen oder Eßwaren. Stolz wie eine Spießgesellin Robin Hoods, die für die Armen raubt, hatte sie die Lebensmittel vorgezeigt und in Matterknax verstaut.

Doch dann war das mit dem kleinen Jungen passiert. Und das – oder etwas in dieser Art – hätte man Voraussagen können. Und etwas in dieser Art war ja dann auch geschehen.

Eine Frau mit einem Geheimnis, so hatte er sie genannt. [244] Zosie als Frau – das war eine fast lachhafte Vorstellung. Sie war ein Kind und war es doch nicht, war in mancher Hinsicht älter als sie alle.



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